von Friedhelm Kopshoff
Auf dem Ausschnitt aus der Bildkarte „Velbert um 1760“ von Horst G. Hütten ist das Uarsch-Haus nicht zu finden. Es wurde also offenbar nach 1760 errichtet, und zwar links neben dem noch existierenden Haus genannt Im neuen Haus, das auf der Karte mit Nummer 1 bezeichnet ist. Die weiteren hier zu sehenden Häuser sind 2. Im Engel, 3. In der Krone, 4. Im Mond, 5. Am Steeg, 6. In der Sonne, 7. Im Stern und 8. Im Schwan. Diese Häuser sind hier genannt, weil die meistens von uns sie auch noch gekannt haben und sich daran orientieren können. Der bekannte Velberter Heimatdichter Eduard Schulte (1851-1929) schreibt in seinem Buch “Fieles on Hamerschlag“ dazu: „Soweit wie die Laternen angebracht waren – die letzte von fünf im ganzen Dorf Velbert stand in der Gegend der Apotheke, der späteren Engelapotheke – so weit ging auch früher das eigentliche Dorf.“ Nach Schulte hörte das Dorf nach Norden hin genau genommen hier am alten Uarsch-Haus auf und man kam aus dem Dorf auf das Land, wo rechts und links Kartoffel-, Hafer- und Kleestücke sowie Kuhweiden lagen. Das Uarsch-Haus hatte bis 1888 auf der Essen-Solinger Straße die Hausnummer 41 und später auf der umbenannten Friedrichstraße die Nr. 93. Es lag an der heutigen Ecke Friedrichstraße/Sternbergstraße.
Die Bedeutung des Namens Uarsch hat offenbar einen mundartlichen Ursprung. Uar bedeutet auf Velberter Platt Ohr. Das war nach Kenntnis von Otto Großsteinbeckn jr.auch der Name des Besitzer des alten Hauses, der zudem der erste in Velbert ansässige Gießer war. Von dem Familiennamen Ohr leitete sich für das Haus der Name Ohrsches Haus oder auf Platt Uarsch(es) Hus ab.
Das alte Uarsch-Haus befand sich 1882 im Eigentum des Gelbgießereibesitzers Albert Großsteinbeck (1835-1892). Wer der Erbauer war und ob Voreigentümer gab, ließ sich leider nicht ermitteln. Fest steht jedenfalls nach der Einsicht in alten Bauakten, dass Albert Großsteinbeck, der Urgroßvater unseres Kompeneïsmann Otto Großsteinbeck jr., am 27. Februar 1885 dem damaligen wohlgeborenen Bürgermeister Thomas die Absicht bekundete, sein hier an der Essen-Solinger Straße 39 gelegenes einstöckige Wohnhaus abzubrechen und an dessen Stelle ein neues dreistöckiges Wohnhaus zu errichten, wozu er um die erforderliche polizeiliche Genehmigung bat. Das alte, also erste Uarsch-Haus kann damals vielleicht schon mehr als 100 Jahre alt gewesen sein. In der Beschreibung des Bauunter-nehmers Johann Ehrenberg vom 21. Februar 1885 für den Neubau hieß es: Der Neubau soll aus Eichen- und Tannenholz in Ziegelfachwerk mit äußerer Schieferbekleidung unter gedecktem Ziegeldache ausgeführt werden. In diesem Neubau wurde 1894 Otto Großsteinbeck sen. geboren, der um 1906 mit einer Glasplattenkamera das hier zu sehende Ansicht von den Häusern Friedrichstraße 93 – 99 fotografierte. Das Uarsch- Haus ist also das Stammhaus der angesehenen Velberter Unternehmerfamilie Großsteinbeck. Im Jahre 1889 wurde der hinter dem Hause befindliche Stall zu einer Werkstatt umgebaut. Nach heutigem Sprachgebrauch könnte man das als Zeichen eines Strukturwandels von der Landwirtschaft zur Industrie ansprechen.
Nach den im Stadtarchiv vorliegenden Adressbüchern befand sich im Jahre 1906 in dem Hause die Central-Drogerie und Weinhandlung Louis Simon. Im Jahre 1920 wurde das Ladenlokal umgebaut, um es für die Bedürfnisse eines Friseurgeschäftes mit Damensalon herzurichten. Von 1922 –1941 war der Friseurmeister Karl Schaake Inhaber des vordem im Stern befindlichen Friseurgeschäftes. Anschließend hatte der Friseur-meister Wilhelm Hucke hier seine Salons für Damen und Herren.
Im Jahre 1953 wurde das Haus im Erdgeschoss vollständig umgebaut und in den oberen Geschossen grundlegend renoviert. Dabei wurden schadhafte Fachwerkaußenwände durch Ziegelsteinmassiv-wände ersetzt, neue Fenster eingebaut und die Schiefer-verkleidung der Außenwände erneuert. Dieses Haus ist ein mustergültiges Beispiel dafür, wie in Velbert die private Hand um die Pflege und Erhaltung ihrer Häuser bemüht ist und keine Kosten scheut, um so auch einen wichtigen Beitrag zu einem ansehnlichen Stadtbild zu leisten. Die Stadt Velbert hatte es im Jahre 1980 bei dem Verkauf des Firmengeländes der Otto Großsteinbeck GmbH zur unabdingbaren Auflage gemacht, dass das Uarsch-Haus auf der Friedrichstraße 95 mit verkauft wird.
Das hielt das Hochbauamt der Stadt Velbert nicht davon ab, am 16.08.1983 dem Bauordnungsamt kommentarlos mitzuteilen, dass das Gebäude Friedrichstraße 95 kurzfristig abgebrochen werden soll. Das Bauordnungsamt reagierte entsprechend und erteilte am 12.09.1983 den Abbruchschein. Von der städtischen Baurätin, die den Abbruchschein erteilt hat, ist darauf dann am 04.01.1985 handschriftlich vermerkt worden, dass der Abbruch nicht ausgeführt wurde, weshalb auch immer. Im Juli 1985, also ein halbes Jahr später, wurde das Bauordnungsamt unter Bezugnahme auf den Abbruchschein von 1983 gebeten, denselben wegen der nunmehrigen besonderen Dringlichkeit kurzfristig zu erneuern. Die neue Abbruchgenehmigung wurde am 19.12.1985 erteilt, wozu das Hochbauamt erklärte sicherzustellen, dass der Abbruch möglichst am 02.11.1986 erfolgt.
Auf dem oberen Bild ist zusehen, wie der Bagger die Reste des Hauses abräumt. Es war ein völlig intaktes und gepflegtes Haus, das jetzt eine schäbige Lücke hinterlässt.